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Hans Neuenfels - Wie viel Musik braucht der Mensch? - 8/2009


Hans Neuenfels

Einer der bedeutendsten und provokantesten Opernregisseure unserer Zeit, mehrfach ausgezeichnet.

Wie viel Musik braucht der Mensch?

 
Bertelsmann Verlag, 08/2009
Einband: Gebunden
Sprache: Deutsch
Umfang: 255 Seiten
Sonstiges: 12 farb. Fototaf.
Gewicht: 470 g
Maße: 222 x 144 mm
Stärke: 30 mm


Zum Inhalt:


Auszüge aus dem Buch: "Meine Treffen mit Verdi" 1974 inszenierte ich in Nürnberg meine erste Oper, Verdis Der Troubadour. Der Kostüm- und der Bühnenbildner stritten sich über das Aussehen eines Engels, der in der Leonoren-Arie "Der Tod ist mir die größte Lust" genau in der Generalpause auftreten sollte. Es gab einen schlaksigen Statisten mit langen Haaren und Nickelbrille. Ihn in einem weißen knielangen Hemd mit zwei kleinen, gewissermaßen gestutzten Flügeln - so stellte ich mir den Engel vor. Der Kostümbildner protestierte am heftigsten. Die Diskussion dauerte sehr lange. Am nächsten Morgen spürte ich an der linken Kopfseite einen kühlen Schmerz. Vor dem Spiegel entdeckte ich eine ungefähr fünfmarkstückgroße kahle Stelle in meinem Haar. "Verdis Rache" lächelte der Kostümbildner erfreut. Es war eine sogenannte Alopecia areata, ein kreisrunder Haarausfall, mit dem schon der Surrealist Roger Vitrac in seinem Stück Der Coup von Trafalgar seine weibliche Hauptfigur versah. Aber ich war davon überzeugt, dass Verdi sich keinesfalls an mir rächen wollte, und bestand auf meiner Idee. Die Alopecia verschwand. 1981 wiederholte ich den Auftritt des Engels in Die Macht des Schicksals. Die wunderbare Sängerin Julia Varady geriet wegen meines Einfalls völlig aus dem Häuschen. Ich spürte ein heftiges Stechen in der linken Kopfseite, doch nach einigen harten Tagen - würde die Varady singen?, würde die Alopecia ausbrechen? - entschloss sich die Sängerin, Freundschaft mit dem Engel zu schließen. Meine Kopfschmerzen verschwanden, und es wurde ein großer Triumph. Die Anekdoten, die meine Verdi-Inszenierungen begleiteten, umspielen in Verdi einen Mann, der scheinbar dazu nicht den geringsten Anlass bietet, der fast feindlich jeden Einblick in sein Privatleben verwehrte, nie aber aus seinen intimen und gesellschaftlichen Ansichten ein Hehl machte, jede staatliche Belobigung bis auf eine - und das war ein Missverständnis - ablehnte und erst, als seine Verbindung mit der Sängerin Giuseppina Strepponi im Städtchen Busseto zum quälenden Tagesgespräch wurde, mit ihr nach Paris zog, und zwar in die Rue Fontaine-St.-Georges 24, wie die Spitzel berichteten.
Man trifft im Leben, wenn man Glück hat, einige Lebende, die das Leben lebenswert machen. Doch glaube ich, die Zahl der Toten ist ungleich größer. Deswegen habe ich zu der Musik von Adriana Hölszky ein Libretto geschrieben. Giuseppe e Sylvia heißt die Oper, die das Leben der Toten zum Thema hat, wobei mit Giuseppe Giuseppe Verdi gemeint ist. Dass Verdi mir eines Tages erschienen ist, ist ebenso natürlich, wie anderen Elvis Presley, John Lennon oder die Heilige Jungfrau Maria erscheinen. Aber warum gerade Verdi? Warum zum Beispiel nicht Ferruccio Busoni? Während ich seinen Faust inszenierte, identifizierte ich mich völlig mit dem Komponisten. Ich spazierte am Mainufer in einem langen schwarzen Mantel herum, auf einen Stock gestützt, und rief unserem Hund zu, der Eugen hieß: "Giotto, komm zu Papa", weil Busoni es so mit seinem Bernhardiner getan hatte. Aber der Komponist erschien mir nicht, und nach der Inszenierung verschenkte ich Mantel und Stock und nannte den ratlosen Hund wieder Eugen. Meine erste Begegnung mit Verdi fand statt, als ich beschlossen hatte, die Pappel fällen zu lassen, die vor unserem kleinen Haus in den Alpen steht. Es war ein Sommer, in dem man sich ausnahmsweise nicht nach dem Süden sehnte. "Tun Sie es nicht, wenn ich Ihnen raten darf", sagte Verdi und lehnte sich an den Stamm, "sie zieht das Wasser aus dem sumpfigen Boden, und ihre Wurzeln sind so weit verästelt, dass Sie nicht alle erwischen. Sie werden sich weiterverzweigen und da und dort als kraftlose Triebe ausbrechen. Stutzen Sie sie lieber, das aber Jahr für Jahr. Werden Sie ihrer Herr." Sein Ton war von freundlicher Autorität, falls es dergleichen gibt, und ich gehorchte, denn er kannte sich ja aus, der Bauer aus Roncole...."

Biografie: (Einer der bedeutendsten und provokantesten Opernregisseure unserer Zeit, mehrfach ausgezeichnet.)
Hans Neuenfels, geboren 1941 in Krefeld, inszenierte u.a. am Schauspiel Frankfurt, das er unter der Leitung von Peter Palitzsch mitprägte, in Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Zürich und Wien. Von 1986 bis 1990 war er Intendant der Freien Volksbühne Berlin. Er drehte Filme über Kleist, Musil, Genet und Strindberg. 1994 erhielt er die Kainz-Medaille der Stadt Wien. Seit 1974 inszenierte er 30 Opern. 2005 und 2008 wurde er zum Opernregisseur des Jahres gewählt. Er ist mit der Schauspielerin Elisabeth Trissenaar verheiratet.

Rezension
"Ein Dynamiker der Pop-Bewegung auf dem Theater, mit ewigem Sturm und Drang." (FAZ)

">Komm in's Offene, Freund!<, rief der chwärmerische Hölderlin. Hans Neuenfels geht mit seinen ergreifenden Texten zur Musik ganz tief ins Innere." Elke Heidenreich

Hans Neuenfels ist nicht nur das "enfant terrible" der deutschen Opernregie, dessen Inszenierungen regelmäßig heftige Kontroversen hervorrufen, er war
auch immer schriftstellerisch tätig. So entstanden Gedichte, Libretti, Erzählungen und ein Roman. In den vorliegenden Texten setzt er sich mit Komponisten und Opern auf eine ganz persönliche und unverwechselbare Weise auseinander. Er nähert sich ihnen an, umkreist sie und träumt sich etwa in Giuseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Wagner, Bernd Alois Zimmermann oder Johann Simon Mayr hinein. Dabei sind literarische Miniaturen und Fantasien von enormer sprachlicher Wucht entstanden. Sie sind durchtränkt von der Leidenschaft des großen Theater- und Opernmannes, bieten neue, ungewöhnliche Sichtweisen auf die Komponisten und ihre Werke und tragen zu einem tieferen Verständnis von Neuenfels'  Denk- und Arbeitsweise bei.

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